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Collaboration-Tools als Heilsbringer für bessere Zusammenarbeit? Warum Software-Werkzeuge nur die halbe Miete sind und was man bei der Auswahl beachten sollte.
Seit mehreren Monaten sind viele von uns nun schon im Home-Office. Eine große Frage: Wie können wir weiterhin gut zusammenarbeiten? Beim gemeinsamen Arbeiten auf Distanz und fast ausschließlich im digitalen Raum wurden wir alle mit neuen Problemen und interessanten Situationen konfrontiert.
- „Wir sehen uns ja nun gar nicht mehr in der Kaffeeküche…”
- “Ich wusste nicht, ob ich dich stören kann…”
- “Verdammt, ich habe vergessen, dir die neueste Version der Präsentation zu senden…”
Und der Klassiker:
- “Wie können wir nun unsere Meetings machen?”
Wenn uns das agile Arbeiten eines gezeigt hat, dann, wie wichtig Kollaboration (immer noch) ist. Donald Reinertsen hat mal schön gesagt: “Zusammensitzen ist das, was am nächsten an Feenstaub herankommt, um die Kommunikation im Entwicklungsteam zu verbessern.”* Zusammensitzen kann man hier gleichsetzen mit Zusammenarbeiten. Und einen Vorteil hat die Remote-Arbeit: Es gibt nicht mehr das eine Team, den einen Bereich oder die eine Abteilung, die im anderen Stockwerk oder Gebäude sitzt und die man nie sieht. Jeder ist nun gleich nah und fern! Es ist nun gleich leicht oder schwer, mit jemandem Kontakt aufzunehmen – vorausgesetzt, das Tool erlaubt es.
Software-Tools als schnelle Lösung?
Die erzwungene Distanz und damit einhergehende nötige Digitalisierung haben dazu geführt, dass als erstes versucht wurde, alles mit neuen Software-Tools zu lösen. Die schiere Menge an unterschiedlichen Software-Tools kann aber schnell überfordern, und es wird schwierig, das richtige zu finden; sind doch auch die Versprechen der Anbieter dieser sogenannten “Collaboration-Tools” so vielseitig wie verheißungsvoll:
- “Ihr könnt nun zeitlich und örtlich unabhängig arbeiten! Egal, wo auf der Welt!”
- “Der Informationsfluss ist nun in Echtzeit!”
- “Eure Produktivität wird sich vervielfachen!”
- “Ihr vergeudet keine Zeit mehr mit der Suche nach Informationen!”
- “Es ist mehr als E-Mail… damit könnt ihr noch viel besser zusammenarbeiten!”
Software-Fehlkäufe durch fehlende Absprachen
An vielen Stellen haben wir also erlebt, dass die erste Reaktion war: “Lasst uns ein Software-Tool anschaffen. Wir brauchen dringend etwas!” Ohne sich aber einmal die Zeit genommen zu haben und die Menschen in den einzelnen Teams und Abteilungen zu fragen: “Was braucht ihr?”
Das Ergebnis war dann leider oft das zu erwartende: Es wurde direkt eine Software gekauft und von der IT ausgerollt, ohne die Menschen einzubeziehen, die diese Software tatsächlich nutzen sollen. Als Folge kam dann eine neue Software, die jedem bereitgestellt wurde, aber die kaum jemand verwendete, wenn sie nicht den wirklichen Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen entsprach.
Oder aber: Einzelne Teams haben sich schon selbst eine Lösung gesucht, die für sie oft besser gepasst hat als die unternehmensweite, und haben damit eine Schatten-IT aufgebaut. Warum konnten sie nicht mit der ganzen Organisation ins Gespräch gehen und ihre Lösung vorschlagen? Oder warten bis eine unternehmensweite Lösung da war? Ein häufiges Problem neben der fehlenden Einbeziehung: Umständliche, langsame und intransparente Prozesse. Wenn die Mitarbeiter*innen wissen, dass es Wochen dauert, bis eine 10€-Lizenz erworben wird, fangen sie an, sich eigene Lösungsprozesse zu erstellen. Denn am Ende wollen auch sie nur mit den Kolleg*innen zusammenarbeiten und produktiv sein. Und das führt dann natürlich dazu, dass unternehmensweit viele unterschiedliche Softwares im Einsatz sind.
Vergessener Fallstrick: Datenschutz und Wartung
Ein Problem, welches dann auftritt, ist zum einen der Datenschutz und die Datensicherheit. Oft fehlt das Bewusstsein über die Brisanz dieser Themen, etwa, weil dieses nicht transparent kommuniziert wird, oder aber aus Angst vor umständlichen Prozessen. Denn niemand möchte den schlafenden Drachen, den Datenschutzbeauftragten, wecken. Das andere Problem ist dann oft die Wartung der Software. Wer kümmert sich um neue Lizenzen oder deren Verlängerung? Wer kümmert sich um die Server? Das will dann jeder doch gerne an die IT-Abteilung abgeben.
Neue Tools: mehr als nur digitalisierte Arbeitsabläufe
Wie also das richtige Tool finden? Ein wichtiger Punkt, der oft vergessen wird: Solch ein digitaler Wandel ist nicht nur digital. Ein neues Tool bedeutet nicht, dass vorhandene Arbeitsabläufe schlicht eins zu eins digitalisiert werden, sondern es beeinflusst und verändert diese. Die neue Software ist nicht einfach ein “IT-Projekt”, sondern wird ganz schnell ein Change-Prozess im Unternehmen.
Im Jahr 2001 haben ein paar schlaue Menschen im “Agilen Manifest” unter anderem diesen Leitsatz formuliert: Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge. Auch wenn es initial nur für die Softwareentwicklung gedacht war, trifft es für jede Situation zu, in der Menschen zusammenarbeiten und etwas erreichen wollen.
Werkzeuge sind also wichtig im Lösungsprozess, an erster Stelle sollten aber stehen, die Menschen in der Organisation von Anfang an mitzunehmen. Ihre tägliche Arbeit wird durch eine neue Software beeinflusst. Um neue Tools erfolgreich einzusetzen, müssen sie den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen auch entsprechen.
Welches Tool ist jetzt das richtige?
Das Ziel eines Collaboration-Tools sollte sein, mit Hilfe einheitlicher und einfacher Lösungen für Meetings, Dateiaustausch, Wissenstransfer und Arbeitsplanung die Mitarbeiter*innen in Einklang zu bringen, um eine echte Zusammenarbeit zu ermöglichen. Durch die schiere Menge an Tools und den Druck, eine möglichst schnelle Lösung zu finden, geht dieser Fokus allerdings schnell verloren. Darum ist eine klare Zielsetzung wichtig:
- Welche Probleme wollen wir überhaupt lösen?
- Was wollen wir mit der Software erreichen? Was soll das Tool uns ermöglichen?
- Was muss es dafür können? Und was nicht?
Die Installation und Kompatibilität mit anderen Tools, sowie der Wartungsaufwand sollten unter Einbezug der IT bei der Auswahl ebenfalls bedacht werden. Und der Datenschutzbeauftragte kann bewerten: Ist das Tool DSGVO-konform und entspricht auch unseren eigenen Datenschutzrichtlinien? Eine von allen Mitarbeiter*innen einzusehende zentrale Dokumentation der Tools sorgt außerdem für Transparenz: Welche Tools haben wir und was können sie? Wofür wird welches Tool eingesetzt? Welchen Rahmen der gemeinsamen Nutzung gibt es?
Die wirklich passenden Tools und Lösungen können also nur gemeinschaftlich und unter Einbezug aller Mitarbeiter*innen gefunden werden. Einige etablieren sich vielleicht langfristig. Wir wissen nicht, wie sich unsere Arbeitsweise in der Zukunft ändert. Kommen wir überhaupt wieder alle zurück ins Office? Oder arbeiten wir verstärkt von unterschiedlichen Orten? Mit den richtigen ausgewählten Werkzeugen im Koffer sind wir für solche Szenarien auf jeden Fall vorbereitet.
Mehr zum Thema? Hier findest du eine Auswahl an Tools und was sie können.
* “Collocation is the closest thing to fairy dust that we have to improve communications on the development team.” – Donald Reinertsen. Managing the Design Factory: a product development toolkit. New York: The Free Press, 1997, p. 113.