Ich war kürzlich auf einer Konferenz zum Thema Facharchitektur. Hinter diesem opulenten Wort verbirgt sich im Prinzip nichts anderes als das altbekannte Enterprise Architecture Management, kurz EAM. Besonders bemerkenswert an dieser Konferenz war, dass ein Thema in aller Munde war, das bei uns auf dem Trendradar eher unter „ferner liefen“ rangierte: Business Capabilities als zentraler Baustein einer Unternehmensarchitektur. Aber was steckt genau dahinter?
Was kann mein Unternehmen?
Eine Business Capability ist auf den ersten Blick nichts anderes als eine Fähigkeit (deswegen werde ich mich im Folgenden auch bemühen, das so zu nennen), die besessen oder benötigt wird. Dass Unternehmen Fähigkeiten haben, ist erst einmal nicht besonders überraschend. Sich damit aber so methodisch zu beschäftigen, ist zumindest ungewohnt. Dabei klingt es nach einer ziemlich guten Idee, sich darüber klar zu werden, welche Fähigkeiten im Unternehmen vorhanden sind.
Das methodische Mittel der Wahl sind Capability Maps, auf denen die Fähigkeiten erst einmal gesammelt und geordnet werden. Dabei gilt es, ähnlich wie beim Schnitt von Komponenten oder Services, eine sinnvolle Granularität zu finden. Einzelne Fähigkeiten sollten dabei überschneidungsfrei sein. Ein Hilfsmittel auf dem Weg zu einer guten Granularität können verschiedene Dimensionen sein, in denen Capabilities betrachtet werden können. So kann ich einer Fähigkeit beispielsweise Ressourcen zuordnen, Mitarbeiter (ja, in diesem Kontext ist es legitim, Mitarbeiter unter „Ressourcen“ zu subsumieren) oder Systeme oder auch Material, um zu sehen, welche Bestandteile des Unternehmens benötigt werden, um eine Fähigkeit ausführen. Grobe Fähigkeiten können in feingranularere herunter gebrochen werden.
Jedes Unternehmen kann einige Dinge gut und andere weniger gut. Eine Capability Map kann dabei helfen, auch dies zu strukturieren, indem auf der Map festgehalten wird, wie ausgeprägt die einzelnen Fähigkeiten sind und wie gut diese beherrscht werden.
Was braucht der Markt?
Mit dieser Methode kann ein gutes Verständnis dafür erlangt werden, wie das eigene Unternehmen funktioniert, was es kann und auch, was es nicht kann. Ist dieser Schritt gegangen, lohnt es sich, einen Blick auf das Geschäftsmodell zu werden, das betrieben oder angestrebt wird. Auch dafür kann man Capability Maps erstellen, die dann die Fähigkeiten beinhalten, die erforderlich sind, um mit dem Geschäftsmodell erfolgreich zu sein. Die Funktionsweise der Capability Map ist dabei identisch.
Schließlich können die beiden Capability Maps übereinander gelegt und die Fähigkeiten, die das Geschäftsmodell erfordert, mit denjenigen, die das Unternehmen hat, abgeglichen werden. (Wird das Geschäftsmodell bereits betrieben, findet man dabei hoffentlich eine gewisse Überdeckung!) Gibt es Abweichungen, benötigte Fähigkeiten, die nicht vorhanden oder nur schwach ausgeprägt sind, oder Fähigkeiten, die zwar vorhanden, für das Geschäftsmodell aber unnötig sind, so können geeignete Maßnahmen abgeleitet und ergriffen werden: Fähigkeiten können ausgebaut, abgestoßen oder zugekauft werden. Im schlimmsten Falle sollte man das Geschäftsmodell überdenken…
Auf dieser Ebene lassen sich Business Capabilities und Capability Maps vielseitig einsetzen: zur Standortbestimmung, zur Diversifizierung des Geschäftsmodells, bei der Erschließung neuer Märkte oder der Übernahme eines anderen Unternehmens.
Prozessmanagement goes Capabilities
Auch auf eher operativer Ebene haben Business Capabilities aber ihren Reiz, besonders für uns Prozessmanagement-affine Menschen. Aus hoher Flughöhe betrachtet, ist ein Prozess ja nichts anderes als eine Anwendung von Fähigkeiten in einer definierten Reihenfolge. Wenn ein Unternehmen Prozesse finden oder etablieren will, ist es sinnvoll zu wissen, welche Fähigkeiten es überhaupt zur Verfügung hat, um diese in einem Prozess zu orchestrieren. Fehlt eine Fähigkeit, so muss entschieden werden, ob diese aufgebaut oder eingekauft werden soll. In Anlehnung an Dr. Gerhard Wohland sollte diese Entscheidung anhand der Marktrelevanz der fehlenden Fähigkeit gefällt werden, also danach, ob es eine Kern- oder Schalenkompetenz ist.
A propros Wohland: eine seiner wesentlichen Aussagen bezieht sich auf die „blaue Falle“ also den Versuch, diejenigen Bestandteile meines Unternehmens in einen stark strukturierten Prozess zu zwängen, bei denen das nur schlecht bis gar nicht möglich ist. (Wer mehr darüber wissen möchte, liest am besten Wohlands Denkzettel). Auch hierbei kann es hilfreich sein, wenn ich meine Fähigkeiten in all ihren Dimensionen kenne und weiß, welches diejenigen sind, die menschliches Know-how und Kreativität erfordern.
Und nun?
Ich finde dieses Thema spannend, weil es viele Aspekte berührt, mit denen wir im Umfeld von Prozessmanagement und (Unternehmens-)Architektur schon zu tun haben. Und weil es sich intuitiv richtig anfühlt, sich mit den eigenen Fähigkeiten und den Anforderungen daran zu befassen. Dass Business Capabilities auf der Facharchitektur-Konferenz so stark thematisiert wurden, zeigt eine gewisse Relevanz. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass zumindest auf meiner Seite noch ein wenig Forschungsarbeit nötig ist, um die Möglichkeiten und Grenzen dieses Ansatzes völlig zu durchdringen – aber das macht ja erst den Reiz eines Themas aus!
Foto: pshanmugam@mac.com unter CC BY 2.0
Hallo Stefan, vielen Dank für diesen schönen Artikel! Ich finde es interessant zu sehen, aus welcher Perspektive Du Geschäftsfähigkeiten in 2014 kennengelernt hast und sicherlich hattest Du inzwischen deutlich mehr mit dem Thema zu tun. Ich arbeite selbst auch im Enterprise Architecture Bereich und habe die Erfahrung gemacht, dass heutzutage der Trend „Business Capabilities“ vollends aus den USA nach Europa gekommen ist. Nichtsdestotrotz gibt es wenig handfeste Literatur und Erfolgsgeschichten für die Anwendung von Business Capabilities: Beispielsweise ist für den Abgleich der IST Fähigkeiten mit den strategischen ZIEL Fähigkeiten der Reifegrad einer jeden Capability unabdingbar. Dieser wird jedoch immer unterschiedlich und oft nicht objektiv gemessen. Auch gibt es viele unterschiedliche Arten von Fähigkeiten, wie beispielsweise Digitalfähigkeiten, die einen stärkeren Fokus auf das Frontend für den Kunden legen oder Applikationsfähigkeiten, die eher einzelnen Funktionen ähneln.
Ich selbst betreibe ebenfalls einen Blog in dem ich viel über Business Capabilities schreibe (in Englisch), hier: https://www.digitalroadmap.management/blog/tag/Business+Capabilities
Ich bin aber immer froh über andere Gedanken und Ideen und würde mich über Deine aktuelle Meinung zu diesem Thema freuen!