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Die Informationsindustrie ist eigentlich unbedeutend (IoT-Blogserie, Episode 1)

In meiner nun schon fast 20 Jahre währenden Berufspraxis in der IT gab es in meiner subjektiven Wahrnehmung kein Thema, das mit einer derartigen Wucht in den Markt drängelte wie das Internet of Things (IoT). Der geneigte Leser kennt zur Genüge all die Prognosen von den 50 Billionen Devices, die im Jahre 2020 verbunden sein werden und mehr Traffic erzeugen, als das gesamte Internet heute. Warum hyped das Thema so gewaltig? Es sind doch bloß Dinge im Internet oder nicht?

Mich persönlich interessieren an dem Thema vor allem die Veränderungen im Marktgeschehen. Wo bilden sich neue Allianzen? Inwiefern verändern sich Machtverhältnisse? Welche Unternehmen sind morgen nicht mehr da? Welche Auswirkungen hat IoT auf die Positionierung von Unternehmen im Wettbewerb? Was verändert sich auf gesellschaftspolitischer Ebene? Wie können sich Firmen kulturell, organisatorisch und methodisch darauf vorbereiten, um morgen noch von Bedeutung zu sein? Wird unsere Zukunft herrlich sein?

Naja, und weil mich das Thema irgendwie anpackt, dachte ich, ich schreibe mal eine kleine Blogserie dazu. Keine Ahnung, wie lange sie wird. Ich hab die Episoden nicht besonders in die Zukunft geplant, sondern schreibe einfach, was mir einfällt.

Nicht alle Botschaften stammen direkt mir, einige sind inspiriert durch das Buch Makers von Chris Anderson. Ich laufe seitdem mit einer anderen Wahrnehmung durch die Gegend und versuche hier meine eigenen beispielhaften Beobachtungen in den Kontext von Internet of Things zu stellen.

Facebook kauft whatsappIch fang mal im Februar dieses Jahres an: Whatsapp wurde für 14 Milliarden Euro an Facebook verkauft (ich bin seitdem auf Threema umgestiegen. Aber zum Thema Umgang mit der neuen Währung namens „persönliche Daten“ vielleicht mehr in einer anderen Episode). Dieser Deal hat mich insofern aufgeweckt, als er mal wieder beeindruckend aufzeigte, wie schnell man heute vom Tellerwäscher zum Milliardär werden kann.

Einer der beiden Gründer, Jan Koum, stammt aus ärmlichen Verhältnissen, arbeitete als Reinigungskraft, hat sich Computerkenntnisse selbst beigebracht und war zum Zeitpunkt des Deals 37 Jahre alt.

youtubeDie Übernahme von Youtube durch Google Ende 2006 (nur anderthalb Jahre nach der Gründung) ist ein weiteres Beispiel. Und jedes Mal ertappe ich mich bei dem Gedanken, „Warum bin bloß ich nicht auf die Idee gekommen?“.

Prinzipiell kann heute jeder mit einem Notebook im Internet und einer guten Idee die Welt verändern. Während früher die Reise vom Pionier zum erfolgreichen Unternehmer Jahrzehnte dauerte, hat das Internet diese Zeitstrecke so stark verkürzt, dass sie kaum noch vorhanden ist. Manche Studenten sind schon Multi-Entrepreneure noch bevor sie überhaupt ins Berufsleben einsteigen. Bücher wie Kopf schlägt Kapital und der Entrepreneurship Campus geben Anregungen und helfen dabei, eigene Ideen erfolgreich in die Tat umzusetzen. Der von unseren Eltern gern bemühte Ausspruch „Junge, lerne erst einmal einen anständigen Beruf, bevor du an was anderes denkst“ hat sich längst überholt.

amazon und coJa, die Digitale Revolution hat uns doch sehr verändert, zum Beispiel den Handel (denken wir an Amazon, ebay, Zalando & Co.). Oder schauen wir uns die Musikbranche an oder die guten alten Fotogeschäfte und Kodak, das es heute so nicht mehr gibt.

Wir haben das schon fast als entfernte Vergangenheit abgespeichert. Tatsächlich ist das ein schleichender Veränderungsprozess, der immer noch passiert, jeden Tag.

Einige Unternehmen haben für sich erkannt, dass sie nur überleben können, wenn sie ihr Geschäftsmodell weg vom ursprünglichen Kern bewegen. Die IT, die vorher nur ein interner Kostenfaktor war, wird plötzlich zum strategischen Schlüsselfaktor der Unternehmensidentität. Ganz gut erkennbar ist das am heute akut betroffenen Verlagswesen, das mit Premium Content und einer radikalen Digitalstrategie zum Teil ums nackte Überleben kämpft.

KulturveränderungUnd auch unsere Kultur hat sich stark verändert. Während ich noch täglich meine Mailberge herunter kämpfe, schauen mich meine Kinder mitleidig an und geben mir zu verstehen: „E-Mail? Das ist doch voll 2000er!“ und wenden sich chillend mit gesenktem Kopf ihrem Smartphone zu, um dort Sprachnachrichten rein zu brabbeln und asynchron per Instant Messaging an ihre „Freunde“ zu versenden.

maslowSogar Maslow hat sich wohl geirrt und hätte sich vermutlich nie träumen lassen, dass noch vor den Grundbedürfnissen, wie Essen, Trinken, Obdach und Wärme ein weiteres Grundbedürfnis hinzu kommt.

Um es mit omnisophischen Worten von Gunter Dueck auszudrücken: „Shift happens“ (kein Schreibfehler).

Und dennoch: Chris Anderson brachte es in seinem Buch Makers auf den Punkt, in dem er sinngemäß postulierte, dass diese digitale Revolution bisher nur virtuell stattfand. In der Realität sind wir aber umzingelt von Gegenständen, so richtig zum Anfassen meine ich. Unser geliebtes, fast okkultistisches Internet ist im Grunde nichts im Vergleich zur realen Welt.

Als eingefleischter IT-Fuzzi höre ich es selbst nicht gerne, muss aber wohl anerkennen, dass die Informationsindustrie im direkten Vergleich zur Gesamtwirtschaft eigentlich unbedeutend ist. Wir sind Straßenmusikanten, während Leadsänger Bono von U2 ein Millionenpublikum bespaßt in der O2-Arena (oder wie sie dann auch immer heißen mag, wenn Sie diesen Blog lesen).

Schauen Sie sich mal beim statischen Bundesamt die Bruttowertschöpfung verschiedener Wirtschaftssektoren an. Die Digitalwirtschaft in Deutschland erwirtschaftete 2013 rund 120 Milliarden Euro. Und zweifelsohne ist sie seit Jahren mit ca. 10% jährlichem Wachstum ein ungebremster Wachstumsmotor. Die Gesamtwirtschaft in Deutschland bringt es im Kontrast dazu auf 2.500 Milliarden Euro. Die Digitalwirtschaft macht also nur etwa 5% der Gesamtwirtschaft aus (der deutschen wohlgemerkt). Alleine nur das produzierende Gewerbe macht hierzulande 650 Milliarden Euro pro Jahr aus.

Mit anderen Worten: die Welt der Dinge ist mindestens fünfmal größer als die digitale Welt, vielleicht auch zehnmal oder zwanzigmal (je nachdem, wie man sie definiert).

Und in dieser Welt der Dinge finden gerade ganz erstaunliche Entwicklungen statt. Welche? Das gibt es in der nächsten Episode zu lesen.

Stay tuned…

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2 Kommentare

  1. Schöner Aufschlag Christian, aber in Deinem Zahlenspiel fehlt ein Aspekt:

    Die „Digitalwirtschaft“ (ich glaube Du meinst den Sektor Information und Kommunikation) in D. macht 5% der Bruttowertschöpfung aus, das stimmt. Tatsächlich fallen hier aber nur solche Unternehmen, die *direkt* mit diesen Themen Geld verdienen. All die Unternehmen, aber dank IT überhaupt nur existieren können (Bsp. e-commerce, also Amazon, Zalando etc.) fallen in andere Sektoren (z.B. Handel). Diese fallen sicherlich ebenfalls partiell in die „Welt der Dinge“, aber eben auch zu einem sehr großen Teil in die „digitale Welt“. Noch eindeutiger wird es bei der gesamten Dienstleistungswirtschaft, die stand heute noch nicht 100% digital ist, es aber zunehmen wird und sicherlich zu einem nur sehr geringen Anteil in die „Welt der Dinge“ fehlt.

    Naja, lirum larum, was ich sagen will: Ja, IoT ist ein „next big thing“, keine Frage. Nur das mit dem fünf- oder zehn- oder zwanzigmal größer, das wage ich mal ganz spontan zu bezweifeln ;-P

    Freue mich auf den nächsten Post!

  2. Hallo, Jakob!

    Danke Dir für Deinen Kommentar! Zum Glück habe ich in Statistik nur Studiumswissen, muss also nicht seriös antworten ;-) Dein Bedenken ist also ganz gerechtfertigt. Und im Blogpost schreibe ich daher auch „je nachdem, wie man Digitalwirtschaft definiert“.

    Meine Botschaft sollte ausdrücken: „Hey, schaut mal. Wir (IT) sind nur eine Branche von vielen und sicher nicht die größte. Und jetzt tut sich eine Möglichkeit auf, mit etwas viel Größerem zusammen zu wachsen.“ Hoffe, das ist so rüber kommen.

    Naja, und der Titel ist natürlich ganz absichtlich etwas polarisierend formuliert. Ich persönlich finde die Informationsindustrie ja ganz und gar nicht unbedeutend. Im Gegenteil: ich glaube daran, dass die Verschmelzung mit der „Welt der Dinge“ sie noch viel bedeutender machen wird, als je zuvor.

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