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ACM – Einmal BPM und zurück, bitte?

Wenn auch nicht mehr brandneu, wird das Thema Adaptive Case Management (ACM) unverändert heiß diskutiert und in allen erdenklichen, mit speziellen Finessen garnierten Varianten geheiligt und beworben. Ein für mich interessanter Aspekt dabei ist das Zusammenspiel mit dem „klassischen“ Business Process Management (BPM). In mehreren Diskussionen, Broschüren und sonstigen mehr oder weniger seriösen Veröffentlichungen zum Thema schwingt aber eher eine Abkehr vom BPM mit. Meine reflexartige Reaktion: Häh? Wieso das denn?

Ich sitze nun mitunter da und spüre diese „ACM vs. BPM“-Auseinandersetzung und bin ein wenig ratlos. Und das aus folgenden Gründen:

Managementansatz und Methode

Bei BPM als Managementansatz geht es um die Fachprozesse. Völlig unabhängig davon, ob diese IT-unterstützt, manuell oder als Hybrid umgesetzt sind. Es geht unter anderem darum, die Prozesse eines Unternehmens zu verstehen und sie zu verbessern. „BPM vs. ACM“ würde bedeuten, dass dies bei schwach strukturierten Prozessen keine Rolle spielt. Aber ist es nicht gerade dabei interessant, die sich zur Laufzeit ergebenden Varianten zu analysieren, Prozesskostenrechnungen zu betreiben und als Feedback-Schleife dem Anwender den wahrscheinlichsten nächsten Schritt vorzuschlagen – „suggest next step“ ist das Stichwort.
BPM wird mir hier zu sehr auf die standardisierte Ausführung oder Automatisierung von Prozessen reduziert und die Management-Disziplin steht im Hintergrund.

Das halte ich aus den oben genannten Gründen nicht für clever. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass BPM und ACM sich hier ergänzen müssen und dass auch (oder gerade?) schwach strukturierte Prozesse es wert sind, controlled und optimiert zu werden.

Hersteller, Tools und Berater

Mal Hand aufs Herz: Im Hersteller- und Beratermarkt geht es ums Verkaufen, und trendige Themen lassen sich einfach gut verkaufen. Damit etwas trendig wird, muss es neu sein und Bedarfsgefühle wecken. Was ist also passiert?
Man hat – wir haben – den Kunden auf Basis seiner „irgendwie gelebten Prozesse“ durch den Einsatz von BPM und Prozess-Engines bessere Arbeitsabläufe, mehr Kontrolle und fortwährende Optimierungen versprochen. Das hat gut geklappt und auch durchaus zu den versprochenen Effekten geführt. Daran gibt es soweit nichts zu mäkeln. Aber irgendwann war das Thema im Markt angekommen und so recht abheben konnte man sich damit nicht mehr. Ein neuer Trend musste her. Da war es eigentlich ganz gut, dass man festgestellt hat, dass gar nicht jeder Fachprozess in jeder Ausprägung sinnvoll streng strukturierbar ist. Zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand in der Erstellung und Wartung. Also ACM. Wir brauchen Werkzeuge und Anwendungen, die einen flexibleren Umgang mit Prozessen zur Laufzeit ermöglichen. Aber bricht das nun mit den Errungenschaften, die wir mit Prozess-Engines und den darauf umgesetzten Prozessen erreicht haben? Ich sage: nein. Und das wäre auch nicht klug. Es ist ja auch nicht auf einmal so, dass sich gar keine Prozesse mehr zur Designzeit planen und standardisieren lassen. Oder dass es Prozesse gibt, die sowohl gut als auch schlecht vorhersehbare Anteile (Teilprozesse) haben.
Insofern bin ich mit Tools, die „nur“ ACM können, auch nicht wirklich glücklich – ich möchte eigentlich beides in einem Tool und Prozessgestaltungsmöglichkeiten, die stark und schwach strukturierte Teile gut und einfach zusammenbringen können.

Prozessgestaltung

Genau, reden wir von der Prozessgestaltung. Eines vorab: vor dem Einzug von BPM im Sinne von Standardisierung und Automatisierung haben die Unternehmen ihre Prozesse auch bearbeitet. Der Umgang mit Sondersituationen und Spezialfällen ist dabei irgendwie auch gelungen. Sei es durch „private“ Systeme wie Excel-Tabellen, um bestimmte Dingen aus den Prozessen zusammenzuhalten oder einfach durch viel Kommunikation. Der Punkt ist, dass sich die Prozesse oder deren Bedarf in der Bearbeitung nicht geändert haben. Mit ACM gehen wir nun aber methodischer mit den variablen Prozessteilen um.

Aber nochmal einen Schritt zurück – in die Zeit „vor ACM“: Bei allen Bemühungen, Standardisierung und Automatisierung flächendeckend umzusetzen, haben wir dann und wann gemerkt, dass das gar nicht immer so einfach ist. Entweder, weil die Menge der zur Laufzeit benötigten Varianten nicht vorhersehbar war oder weil letztere nicht wirtschaftlich umsetzbar waren. Das hat dazu geführt, dass wir sehr komplexe Prozessmodelle hatten, die möglichst alle Varianten abgebildet haben. Gegebenenfalls haben wir in den Prozessen an dezidierten Stellen Ausstiegspunkte in die komplett manuelle Bearbeitung eingebaut. Allerdings selten mit einer Dialoggestaltung, die den Anforderungen von ACM genügt. In der Regel war es am Anwender, sich die benötigten Informationen aus mehreren anderen Systemen zusammenzuklauben und sich daraus irgendwie eine Fall-oder Kunden-Sicht zu verschaffen.

Für mich muss ACM als Methode für Prozess- und Oberflächengestaltung genau an dieser Stelle ansetzen. Prozesse müssen so gestaltet werden, dass sie für planbare Anteile standardisierte Abläufe beinhalten, diese aber mit der notwendigen Flexibilität versehen, dass sie mit schwach strukturierten Anteilen innerhalb desselben Ablaufs kombiniert werden  können. Oberflächen müssen einerseits Zugriff auf die zu bearbeitenden Fachdaten bieten, aber auch ohne Tool-Bruch und Fokuswechsel Daten aus dem Kontext bereithalten, die für die Fallentscheidung benötigt werden.

Das klingt einfacher, als es in der Praxis ist. Einerseits muss die eingesetzte Software diesen Spagat unterstützen, und es bedarf einer genauen Kenntnis des Prozesses, um die Meilensteine bzw. Übergangspunkte von stark und schwach strukturierten Anteilen richtig zu setzen. Dabei gibt es meiner Meinung nach zwei Spielarten: in der einen wird die Arbeit grundsätzlich unterhalb eines Cases organisiert, der für bestimmte, vorhersehbare Abläufe rigide Teilprozesse vorsieht. In der anderen Variante existiert ein übergreifender, rigider Prozess, der an bestimmten Stellen schwach strukturierte Teilprozesse beinhaltet, in die bei Bedarf gesteuert wird. Hat ein solcher Teilprozess sein mit dem übergreifenden Prozess vereinbartes Ziel erreicht, geht die Kontrolle wieder zurück an diesen.
Eine Frage ist aber für beide Varianten entscheidend: Wie viel Adaptivität braucht man wirklich? Muss es tatsächlich systemgestützt möglich sein, zu jeder Zeit neue, individuelle Schritte einzufügen oder reicht auch die freie Entscheidbarkeit der Reihenfolge und Wiederholung von Schritten, die aus einem festen Fundus stammen? Hier bewegen wir uns an der Grenze zwischen ACM und PCM (Production Case Management). Ein schönes Thema für einen weiteren Blog-Beitrag.

Und nun?

Der geneigte Leser wird bemerkt haben: von der strikten Abgrenzung von BPM und ACM halte ich nicht viel. Ich bin ein Befürworter der sinnvollen Kombination aus beiden Ansätzen. Das heißt: wir brauchen Werkzeuge, Ansätze und Muster, um beide Welten zu verheiraten. Werkzeuge, die es uns ermöglichen, derartige Prozesse sozusagen aus einer Hand zu gestalten und Muster, die Fachprozesse sinnvoll in stark und schwach strukturierte Teile dekomponieren.
Wie das aussehen kann, demonstriert mein Kollege Simon Zambrovski am 07.08.2014 um 18:00 in unseren Räumen im Rahmen des camunda community Events zum Thema Adaptive Case Management: Indikatoren, Muster, Ausführung.

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Über den Autor

Roman ist einer der beiden Vorturner im Bereich BPM/SOA und daneben noch begeisterter Audi V8 Fahrer, Ente V8 Esser und Vater einer kleinen Tochter...

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