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Agile Native

Der Begriff des Digital Natives beschreibt eine Person, für die eine Nutzung von Computern von klein auf so selbstverständlich ist wie die Verwendung eines Telefons. Schon in der Schulzeit werden Hausaufgaben mit Hilfe des Internets gemacht und die Bewegung in virtuellen Welten konkurriert stark mit dem Fußballverein um die Ecke. Häufig erkennt man bei Vertretern dieser Generation bereits Ratlosigkeit, wenn es darum geht einen handschriftlichen Brief korrekt zu adressieren – was nicht selten beim Beobachter zu verständnislosem Kopfschütteln führt.

Um Schadensbegrenzung bemüht, verfügt der Digital Native über Mittel und Wege, seine Wissenslücken umgehend zu schließen. Eine schier endlose Wissensdatenbank steht ihm nahezu überall zur Verfügung.

Betrachtet man im Gegenzug die angelernten Digitalen, gestaltet sich die sofortige Konsultation des Internets zur Wissensaufnahme häufig holpriger. Es werden tendenziell eher Annahmen getroffen und Behauptungen aufgestellt und es wird länger auf vermeintlich Bewährtem beharrt.

Lässt sich hier eine gedankliche Brücke zum Projektmanagement schlagen?

Den Begriff, den ich zur Debatte stellen möchte, ist der des Agile Native.

Dies sind häufig Berufs- oder Quereinsteiger, die aus einem agilen Umfeld heraus in den Bereich des Produkt- bzw. Projektmanagements gelangen. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, diesen Mitarbeitern eine adäquate Grundausbildung zu vermitteln.

Ist das Zeichnen von Netzplänen und Gantt-Charts an dieser Stelle essentielles Grundlagenwissen? Sollte jeder neue Mitarbeiter zuerst mit ausführlichen Anforderungsdokumenten und lückenloser Dokumentation betraut werden? Oder reicht tatsächlich die Mechanik eines  leichtgewichtigen agilen Ansatzes für einen Einstieg in die Materie, der doch so häufig in der realen Welt an seine Grenzen zu stoßen scheint?

Projekte scheitern nicht, weil der Projektplan das falsche Format hat. Sie scheitern auch nicht, weil die Erstschätzung ungenau war. Projekte scheitern, sehr vereinfacht gesagt, wenn es grundlegende Mängel in Kommunikation und Zielsetzung gibt. Die tägliche Projektarbeit besteht aus komplexen Interaktionen und erfordert viel Aufmerksamkeit, Abstimmung und Reflektion von allen Beteiligten. Ob Pläne oder Listen mit Tool A oder B und nach Vorgehen Y oder Z erstellt wurden, ist im Normalfall nicht entscheidend. Wichtig ist der Fokus aufs Wesentliche: Ziele, Werte und Prinzipien. Dieses zu vermitteln, ist das Ziel agiler Ansätze – und die Mechanik leitet sich daraus ab.

Vor Kurzem nahm ich an einem Training zu einem agilen Framework teil. Das durchaus heterogene Teilnehmerfeld bestand aus Projektmanagern mit traditionellem und agilem Hintergrund. Als anfangs die agilen Prinzipien und die Aufgaben von Projektleitern thematisiert wurden, meldete sich ein Teilnehmer mit traditionellem Hintergrund leicht provokativ mit der Aussage zu Wort, dass er bereits seit Jahren nach diesen ach so revolutionären Prinzipien im traditionellen Umfeld arbeite – das sei doch gesunder Menschenverstand. Die Antwort des Trainers zu dieser Feststellung war so trivial wie erleuchtend: Weiter so!

Es macht im Grunde keinen Unterschied, welches Framework oder welchen Ansatz man verfolgt. Agile Prinzipien und Frameworks basieren auf Erkenntnissen des traditionellen Projekt- und Produktgeschäfts. Was rückblickend gut funktionierte, inspiriert heute Agil, was zu Misserfolg führte, gilt als Antipattern und wird durch viel besprochene Frameworks wie Scrum eliminiert.

Wichtig ist das Befolgen agiler Prinzipien, nicht das unreflektierte Umsetzen einer Methode.

Eine agile Grundausbildung sorgt dafür, dass sich diese erwiesenermaßen erfolgreichen Denkstrukturen verfestigen. Der Aufbau von methodenspezifischem Wissen ist anschließend Fleißarbeit und die erfolgreiche Umsetzung so unterschiedlich wie die Unternehmen selbst. Ich bin der Überzeugung, dass eine agile Grundausbildung im ersten Schritt deutliche Vorteile mit sich bringt. Verstöße gegen die agilen Prinzipien, egal in welchem Kontext, lösen beim Projektmanager anschließend Befremden aus und beugen so Verschwendung und Misserfolg effektiv vor.

Damit sollten Agile Natives dafür sorgen, dass agiles Gedankengut die Verbreitung findet, die ihm gebührt.

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Über den Autor

Die Holisticon AG ist eine Management- und IT-Beratung aus Hamburg. Wir entwickeln beste Individualsoftware, Webplattformen und Apps. Geschäftsprozesse durchdringen wir und automatisieren sie. Große Datenmengen machen wir mit Smart-Data-Ansätzen beherrschbar. ...und das alles agil.

Ein Kommentar

  1. Habe den Artikel zufällig entdeckt. Und da er mir so aus der Seele spricht, muss ich einfach meine Zustimmung kundtun.

    Insbesondere der Absatz „Projekte scheitern nicht…“ zählt zu dem Gedankengut, dass leider viel zu wenig vorzufinden ist. Nur weil der Redner im Seminar dieses und jenes gewählt und gesagt hat, wird es bei einem Großteil der Zuhörer zu einem Gesetz. Es gibt Grenzen und Regeln vor und erleichtert das Abschalten des eigenen Kopfes.

    Das Denken out of the box und das flexible Adaptieren von Lösungen fehlt mir heute leider viel zu häufig. Stattdessen sehe ich verstärkt das Festklammern an Lehrbüchern und Methodiken und das oft wider des o.g. gesunden Menschenverstandes.

    Schade. Aber gut, dass es auch anders geht!

    Grüße aus Stockelsdorf,
    der Schroeter

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