In jedem Projekt kommt einmal die Zeit des sogenannten Endspurts. Die Zielgerade ist erreicht, das Licht am Ende des Tunnels wird hoffentlich heller, es gilt, noch einmal die Energien zu bündeln. Was aber, wenn es eng wird, oder der Zieltermin nicht mehr zu halten ist? Offensichtlich ist, dass man etwas ändern muss. Aber was?
Nun, die Möglichkeiten sind ebenso einfach wie begrenzt. In der Physik gilt:
Arbeit = Leistung * Zeit.
Übertragen auf Projekte ergibt sich daraus das bekannte magische Dreieck:
Funktionsumfang (aka fachliche Inhalte) = Kapazität (aka Velocity, aka Umsetzungsgeschwindigkeit) * (Rest)-Laufzeit.
Mein Prof an der Uni hätte nun gesagt, dass man nach trivialer Umformung sieht, dass sich die Restlaufzeit aus dem Verhältnis von Funktionsumfang zur Umsetzungsgeschwindigkeit ergibt. Guter Mann – aber darauf reduziert es sich im Wesentlichen. Wenn die Restlaufzeit nicht zum Zieltermin passt, kann man drei Sachen tun: man kann den Zieltermin verschieben, den Funktionsumfang reduzieren oder die Kapazität erhöhen. Oftmals sind eine oder zwei dieser Stellschrauben von vornherein festgezogen. Beispielsweise wenn gesetzliche Bestimmungen den Zieltermin vorgeben oder wenn keine weiteren Projektmitarbeiter verfügbar sind. Dann reduziert sich die Palette der Möglichkeiten entsprechend weiter.
Und bei Scrum?
Auch Scrum kann dieses Naturgesetz des Projektmanagements nicht aufheben. Auch Scrum bietet keine vierte Dimension, die Aufwandsberge zu flachen, grünen Tälern werden lässt. Scrum klont auch keine Projektmitarbeiter oder lässt Wurmlöcher entstehen, die einem *potz Blitz* mehr Zeit verschaffen.
Na toll, und warum machen wir dann Scrum?
Schlicht und ergreifend, weil Scrum es uns einfacher macht, mit diesen Gegebenheiten umzugehen. Dank kontinuierlichen Estimation und Sprint Planning Meetings sowie durch Task- und Feature Burn Down Charts wissen wir immerhin recht früh, dass etwas aus dem Ruder läuft und wir gegensteuern müssen. Einige Monate vor dem Zieltermin ist es noch sinnvoll, das Team aufzustocken. Wird der Rückstand erst drei Wochen vor Projektende bemerkt oder offen kommuniziert, ist es dafür meist zu spät. Hinter der frühen Erkenntnis und dem sinnvollen Umgang damit stehen einige der Grundpfeiler von Scrum: Transparenz und Ehrlichkeit. Es sind genau die geschilderten Situationen, die diesen Begriffen die manchmal gefühlte Esoterik nehmen und den eigentlichen Nutzen aufzeigen. Des Weiteren macht Scrum die Auswahl von Streichkandidaten im Funktionsumfang leichter – dank eines nach Geschäftswert priorisierten Backlogs.
Nachtrag
Dem ein oder anderen mag aufgefallen sein, dass der Qualitätsaspekt als mögliche Stellschraube unerwähnt blieb. Das hat den einfachen Grund, dass ich nicht glaube, dass der Verzicht auf Qualität eine gute Möglichkeit ist, Zieltermine doch noch zu erreichen. In den allermeisten Fällen schlagen diese Zugeständnisse zurück, sei es durch längere Testphasen und Fehlerbereinigungen oder sogar Fehler im Produktivbetrieb.